Katrin Schuster
Das Du und die (modernen) Medien in Michael Basses Gedichtband „skype connected“
In:
Literaturblog Bayern 2010
"Das Lesen, vor allem von Gedichten, ist ja immer ein Sichselbstvorlesen, ein Widerhallen der Worte im eigenen Kopf. Eben dieses Echo wiederholen ja viele Gedichte noch einmal, wenn sie – um den schlimmsten Fall zu nennen – Herz auf Schmerz reimen. Gerade Liebesgedichte scheinen von solchen Paarungen manchmal gar nicht genug bekommen zu können. Aus verständlichen Gründen, natürlich.
Allein: Michael Basse, so stand in einer Rezension zu lesen, lehne Endreime ab – als „zu harmonisierend, die Gegensätze fälschlich verdeckend“. Womöglich bezieht sich darauf auch die Selbstbeschreibung des lyrischen Ichs als „Mann ohne Leier“ und „Mann ohne Zaumzeug“ in Basses erstem Gedichtband „Und morgens gibt es noch Nachricht“, der 1992 erschien. Mann ohne Leier, Mann ohne Zaumzeug, das heißt für mich: Kein Instrument außer der Sprache macht die Musik in diesen Gedichten. Und: Nichts Lebendiges soll dafür in ein Geschirr geschnallt werden, das allein dem Zügeln, allein dem Gehorsammachen diente.
Deshalb klingen die lyrischen Echos bei diesem Dichter anders: Michael Basse scheut vielleicht den Reim als Pointe, nicht aber die glasklare Wiederholung am Anfang oder in der Mitte. Und noch weniger die Wieder-Holungen, die ganze Verse einbegreifen. Auch die Verse anderer Dichter. Und zudem lässt er sein Geschriebenes gern in der eigenen Stimme widerhallen. „Brave new world prosodisch“ etwa ist 2007 von vorneherein und ausschließlich als „literarisch-musikalische Performance“ auf CD erschienen. Dem Band „Partisanengefühle“ wiederum, der 2004 erschien, liegt eine CD bei, auf der man Michael Basse lesen und dazwischen wie dagegen Musik von Opus One hören kann. Auch seine Übersetzungen von englischer, französischer, bulgarischer Lyrik stellen in meinen Augen ein solches Echo dar. In dem Fall eben in einer anderen Sprache.
Jedoch: Schon im zweiten Gedicht von „Skype connected“ findet sich ein unüberhörbarer Endreim. Das ist eine absolute Ausnahme in diesem Band, zugegeben, macht diesen Gleichklang für mich aber nur umso signifikanter. Das Gedicht heißt, wie gesagt, „Jedem sein totem“ und in dessen letzter Zeile „ich ist ein anderes du“ hallt ein vorheriges doppelt notiertes „Tabu“ wider.
Das Du ist ja ein ähnlich schwieriges Wort wie das Ich: Wenn man miteinander ins Gespräch tritt, sagt man es andauernd. Und doch meint jeder einen je anderen damit. Dieses allererst linguistische Problem ist in der Zeile „ich ist ein anderes du“ unüberhörbar angesprochen: Für mich bin ich Ich, aber für alle anderen bin ich du.
Und zugleich bedeutet der Satz „ich ist ein anderes du“ auch: dass es ohne Du kein Ich gibt; dass man Ich nur sagen kann, weil und wenn man Du sagen kann. Eigentlich seltsam, dass sich die literarische Welt so viele Gedanken über das lyrische Ich macht. Und so wenige über das lyrische Du. Michael Basse aber denkt über dieses Du nach.
Die Formel, auf die man – mittels eines ungehörigen Zusammenschnitts zweier Gedichte – das Du von „Skype connected“ bringen könnte, lautet: Dieses Du ist „kein Engel“, sondern „im Grunde ein Fabelwesen“. Ein anderer Vers besagt: „dein augenaufschlag ist der big bang“. Der erste morgendliche Blick des Dus auf das Ich ist also der Ursprung der Welt. Ohne dieses wahrnehmende Andere, gäbe es schlicht und einfach kein Ich. Schon gar nicht das Autor-Ich von „Skype connected“. Deshalb steckt dieses Du gleich im allerersten Gedicht den Rahmen des Ich-Bewusstseins ab: „dem anderen fremden dir“ gelte, heißt es darin, „mein erster mein letzter gedanke“.
Später weitet sich der Blick dann auch explizit auf die anderen – historischen, gesellschaftlichen – Bedingungen des Wirs. Es kommen die Poesie und die Politik ins Spiel. Anwesend sind diese beiden, die Poesie und die Politik, freilich schon vom ersten Wort an. Denn die Verbindung von Ich und Du ist schließlich die Keimzelle des Sozialen – und wer wollte behaupten, dass das nichts mit Politik zu tun hätte?
In dem Brief, den er dem „Skype connected“-Exemplar für mich beilegte, spricht Michael Basse von einer „Gratwanderung zwischen persönlichem und privatem“, die er in diesem Band unternommen habe. Das Persönliche umschreibt er als das „durch eigene Erfahrung beglaubigte“, das – „zumindest potentiell – alle angehen kann“. Das Private dagegen gilt ihm als das „zufällige und daher beliebige“. Auch das Wort „Kitsch“ nennt er als Synonym dafür.
Von dem intellektuellen Tabu des Privaten ist in „Skype connected“ ganz ausdrücklich die Rede: „Dumm über körperexzesse zu schreiben“, heißt es einmal, denn die gebe es schließlich „in allen kanälen in jedem format“ zu sehen. Wohlgemerkt: Nicht die Körperexzesse sind dumm, sondern das Schreiben darüber, das Publizieren, das Ver-Öffentlichen. Ein Zaumzeug braucht man deshalb gar nicht erst: „unsre körper bleiben tabu“ lautet der letzte Vers des Gedichts „körperexzesse“. Darauf reimt sich also das Du in „Skype connected“: auf das Tabu des Körpers.
Nun ist dieses Tabu kein unbekanntes. Jedes Gedicht handelt im Grunde auf die eine oder andere Weise davon, dass der Körper als solcher darin nicht vorkommen kann. Dass er immer wieder unter die Kandarre der Buchstaben genommen werden muss, um überhaupt zu erscheinen. Der Unterschied ist nur: Michael Basse trauert nicht darum. Vielmehr scheint dies ein Ausgangspunkt seines Schreibens zu sein: Ein Medium ist ein Medium. Nicht mehr, aber vor allem nicht weniger.
Daher finden nicht nur andere Dichter Eingang in seine Texte, sondern auch die Umgangssprache und blanke Laute wie „grrr“. Sie erscheinen als „funken schnuppen blitze“ einer immer schon vergangenen Gegenwart, die in den Gedichten formuliert, aber nie vorgetäuscht wird: „So imitieren wir natur/ganz ohne anleihen/kommen auch wir nicht aus“: Der Unterschied wird nicht übertüncht, sondern gewahrt.
Und das darf man durchaus als politische Äußerung verstehen. Denn die Übertüncher werden ja nicht weniger. Im Gegenteil: Wen schert es denn noch, dass die Biologie längst wieder zum Lifestyle avanciert ist? Ich kann nicht sagen, ob das an der fortschreitenden Durchdringung unserer Welt mit sekundären Welten liegt oder nicht. Fest steht: Die Sehnsucht gerade des Digitalen nach der Idylle ist offensichtlich groß – und sie wird gerne bedient von den Medien und der Politik, die uns ein ums andere Mal die Kultur mit der Natur weismachen wollen. Das ist tatsächlich der Kitsch – und zwar „auf allen kanälen in jedem format“.
Allerdings trägt der Band just ein so genanntes neues Medium im Titel, den Internettelefoniedienst „Skype“ nämlich. In dem titelgebenden Gedicht „Skype connected“ steckt – sofern man das so dreist behaupten darf – fast alles, was den Band „Skype connected“ auszeichnet: Das erste, grundierende Wort lautet Du, schon in der zweiten Zeile wird es in einem „wir“ aufgehoben. Die Beiden, um die es geht, das Ich und das Du, sind räumlich und also körperlich getrennt, aber akustisch und also im Geiste mit- und beieinander. Ihr Dialog handelt nicht nur von der Gegenwart des Krieges, der Propaganda und der Infamie, sondern analysiert diese Gegenwart auch. In dieser Analyse hallt Michel Foucault wider: „Gleichschalten überwachen strafen/lügen was das zeugt hält“. Und später noch einmal: „Überwachen & strafen/& lügen was das zeug hält“.
Doch das ist nicht das einzige Echo in diesem Gedicht. Gleich zweimal fällt auch der Satz „unsre Verbindung steht“. „Aber unsre Verbindung steht“. Das ist eines der schönsten, weil vertrauensvollsten, zugleich zeitlosesten und zeithaltigsten Dinge, die man über die Liebe in heutigen Tagen sagen kann: dass sie wegen und trotz allem ein Medium ist, in dem die Gegenwart widerhallt"